Thelma

Originaltitel: Thelma
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Musik: Ola Fløttum
Darsteller: Eili Harboe, Kaya Wilkins, Henrik Rafaelsen

Die Norwegerin Thelma (Eili Harboe) studiert Biologie an der Universität in Oslo. Ihrem neuen sozialen Umfeld begegnet die konservativ und streng christlich erzogene junge Frau schüchtern und introvertiert. Am liebsten hält sie sich alleine in der eigenen Wohnung auf, wo jeden Abend Kontrollanrufe der überfürsorglichen Eltern erfolgen. Die Dinge ändern sich, als Thelma Anja (Kaya Wilkins) kennenlernt, sich mit ihr anfreundet und ihr allmählich näher kommt. Allerdings leidet die Biologie-Studentin immer wieder unter Anfällen, die mit beunruhigenden und übernatürlichen Erscheinungen einhergehen.

Filme mit Protagonisten, die mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, beschränken sich in der breiten Wahrnehmung zumeist auf zwei Comicfilm-Ketten: Marvel und DC. Ähnlich wie die Fastfood-Konzerne McDonald’s und Burger King liefern die beiden Comic-Riesen Jahr für Jahr mehr oder weniger die gleiche Soße ab. Und ähnlich wie bei den Burger-Konzernen ist auch bei Marvel und DC einer der beiden erfolgreicher als der andere. Angesichts dieser lautstarken Giganten kommen die wenigen kleinen Filme, die sich ebenfalls dem Thema der übernatürlichen Fähigkeiten widmen, notgedrungen sehr leise daher. Ich denke jetzt beispielsweise an „Midnight Special“ aus dem Jahr 2016. Ebenso leise – doch meiner Meinung nach ein Stückchen stärker – hat sich nun „Thelma“ in mein Heimkino geschlichen.

Zunächst bietet der Film in Sachen Story nichts Neues oder großartig Interessantes: Schüchternes Mädchen vom Land, streng religiös und konservativ erzogen, trifft in der großen Stadt auf moderne Jugendliche, die sich in Form von Partys, Alkohol und Drogen Zwängen der anderen Art hingeben. Nach und nach verlässt Thelma dabei ihr bisheriges Schema und testet die Grenzen neu aus – wobei die Freundschaft zu Anja durchaus als Katalysator zu sehen ist. Die Schauspieler machen dabei ihre Sache sehr gut, besonders die Präsenz von Hauptdarstellerin Eili Harbour ist hervorzuheben. Und trotzdem ist der Film bis hierhin nicht sonderlich aufregend. Ehrlich gesagt hat mich die plakative Ausgangslage sogar ein wenig gestört, denn anscheinend sehen sich die meisten Filmemacher nicht in der Lage, die Christen in ihren Geschichten anders als fanatisch oder weltfremd darzustellen. Aber ich sollte von „Thelma“ noch überrascht werden – und zwar in vielerlei Hinsicht.

Relativ früh mischen sich in das Drama Elemente von Thriller, Mystery und Horror. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn Thelma in der Universitätsbibliothek ihren ersten Anfall hat, im Zuge dessen mehrere Vögel an die Fensterscheiben schlagen. Hitchcock lässt grüßen. Die junge Frau fühlt sich nun nicht nur aufgrund ihres sozialen Hintergrunds als Außenseiterin. Sie scheint darüberhinaus gewisse Fähigkeiten zu haben, die sie zu etwas Besonderem machen, ob sie das nun will oder nicht. Die übernatürlichen Elemente nehmen nach und nach zu und erzeugen – unterstützt vom Soundtrack und einer hervorragenden Kameraführung – einen fast schon hypnotischen Sog. Der Film hält die Spannung quasi über seine gesamte Laufzeit, auch wenn das Tempo hinten raus ein wenig nachlässt. Hier erfolgen allerdings Wendungen und Auflösungen, die Thelmas Emanzipation auf eine andere Ebene hieven und vieles in einem neuen Licht erscheinen lassen – unter anderem die allzu streng-religiösen Eltern, was für mich persönlich ein angenehmer Kniff war. Gekrönt wird das Ganze von ein paar wirklich harten Szenen, die einem stark unter die Haut gehen. Und zwar ganz ohne Blut und Gore.

Das Ende hat durchaus einen offenen Charakter und lädt zu der ein oder anderen Spekulation ein. Aber mehr in die Details soll es an dieser Stelle nicht gehen, denn ich möchte für „Thelma“ eine klare Empfehlung aussprechen. Für diese ruhige, aber doch recht intensive und wunderschön gemachte Filmperle gibt es stolze 8 von 10 Popcornguys!

Maria Magdalena

Titel: Maria Magdalena
Originaltitel: Mary Magdalene
Regie: Garth Davis
Drehbuch: Helen Edmundson, Philippa Goslett
Musik: Jóhann Jóhannsson, Hildur Guðnadóttir
Darsteller: Rooney Mara, Joaquin Phoenix, Chiwetel Ejiofor

Israel, Anfang des 1. Jahrhunderts: Das Land ist von den Römern besetzt. Ein kleiner Teil der jüdischen Bevölkerung, zu der auch die Jerusalemer Priesteraristokratie gehört, profitiert von der Situation. Ein Großteil der Menschen jedoch lebt in armen Verhältnissen und sehnt sich nach dem Messias, einem echten König, der das Reich Gottes einläuten wird. In Magdala am See Genezareth lebt eine junge Frau namens Maria (Rooney Mara) mit ihrer Familie. Sie soll verheiratet werden und die üblichen Aufgaben einer Ehefrau übernehmen. Doch in Maria brennt die Sehnsucht nach einer Begegnung mit Gott, was sie zum Wanderprediger Jesus aus Nazareth (Joaquin Phoenix) führt. Sie schließt sich seiner kleinen Bewegung an und entwickelt ein tiefes Verständnis für seine Botschaft. Dies führt zu Auseinandersetzungen mit den männlichen Jüngern. Insbesondere Petrus (Chiwetel Ejiofor) betrachtet Maria mit skeptischen Augen. Die Konflikte verschärfen sich, als Jesus beschließt, mit seiner Botschaft in Jerusalem einzuziehen.

Die folgende Kritik enthält SPOILER und eine Menge fachlicher Ergüsse.

Kaum eine biblische Frauengestalt ist schillernder als Maria Magdalena. Als reuige Sünderin, ehemalige Prostituierte und potentielle Geliebte Jesu ist sie einer breiten Masse bekannt. Dabei gehen all diese Punkte auf Traditionen und Verschwörungstheorien zurück, biblisch fundiert ist davon nichts. Tatsächlich erzählen die Evangelien nicht allzu viel über Maria. Sie scheint die Wichtigste einiger Frauen gewesen zu sein, die Jesus als Jüngerinnen begleiteten. Vorgestellt wird sie über ihren Heimatort Magdala, was als Hinweis darauf zu werten ist, dass sie nicht oder nicht mehr verheiratet war. Laut Lukasevangelium trieb Jesus aus ihr sieben Dämonen aus, was man als physisches oder psychisches Leiden interpretieren könnte. In den Passionserzählungen steht sie – ganz im Gegensatz zu den männlichen Jüngern – am Kreuz und ist auch die erste Zeugin der Auferstehung.

Mehr ist es zunächst nicht, was die Bibel zu berichten hat. Im Laufe der Kirchengeschichte wurde Maria schließlich mit anderen, bislang namenlosen Frauengestalten des Neuen Testaments zusammengelegt. Zu erwähnen wäre hier beispielsweise die Sünderin, die Jesus die Füße wäscht, oder die Ehebrecherin, die nur knapp einer Steinigung entgeht. Von päpstlicher Seite aus wurden diese fehlerhaften und folgeschweren Identifikationen in der Spätantike gefördert und unterstützt. Das zeigte sich zunächst in der Kunst, wo Maria Magdalena auf vielen Bildern eine gewisse Erotik umgibt. In der Moderne griffen auch Spielfilme das Prostituierten-Thema auf oder stellten Maria sogar als Geliebte Jesu dar – mal mehr, mal weniger geschmackvoll. Die Exegese jedoch ging in den letzten Jahrzehnten (auch im Zuge der feministischen Theologie) einen anderen Weg. Man konzentrierte sich wieder auf die Evangelien und auch einige apokryphe Texte, die nicht in den Bibelkanon aufgenommen wurden. Maria Magdalena erfuhr dadurch eine Art Rehabilitation und gilt inzwischen als Apostolin, was sie auf eine gleiche Stufe mit den männlichen Jüngern Jesu stellt. Ihren Festtag hat sie dem aktuellen Papst Franziskus zu verdanken.

Nach dieser fachlichen Richtigstellung folgt nun mit „Maria Magdalena“ auch ein Film, der der biblischen Frauengestalt gerecht werden möchte. Und tatsächlich verzichtet man auf sämtliche Effekthascherei. Keine Prostitution, keine sexuelle Beziehung mit Jesus, stattdessen die ruhig erzählte Geschichte einer Gläubigen. Das fehlende Spektakel mögen manche als langweilig empfinden, ich jedenfalls bin um diesen respektvollen Umgang sehr froh und rechne dies dem Film hoch an. Allerdings weiß ich auch, dass eine gute oder ehrbare Prämisse noch keinen perfekten Film macht, worüber „Maria Magdalena“ hier und da auch ein wenig stolpert. Aber dazu später mehr.

Der Film beginnt in Marias Heimatort Magdala, was in Wahrheit wohl mehr als ein kleines Kaff war, und stellt uns den Charakter vor. Hier muss man zwangsläufig die spärlichen biblischen Angaben anreichern, wenn man eine funktionierende Filmfigur haben möchte. Die Drehbuchautoren entschieden sich dafür, aus Maria eine Hebamme und Fischerin zu machen. Das eine ist naheliegend, das andere weniger nachvollziehbar. Die Fischerei war wohl doch eher eine Männerdomäne. Ihre Arbeit als Hebamme allerdings birgt eine schöne Symbolik, die im Film noch einige Male aufblitzt und gespiegelt wird (Stichwort: Lazarus). Maria zeigt sich als relativer Freigeist und möchte sich gewissen gesellschaftlichen Konventionen nicht unterwerfen: Sie will beten, wann immer sie will, und keine Ehefrau werden. Mit Rücksicht auf den historischen Kontext fragt man sich zwar, woher diese modernen Ansichten wohl kommen mögen, aber das Ganze wird einigermaßen annehmbar dargestellt – nicht zuletzt wegen Rooney Maras ruhigem, aber eindringlichem Spiel.

Mit Joaquin Phoenix betritt mein eigentliches Highlight die Bühne. Das mag man in einem Film, der eigentlich um eine Frau geht, kritisch sehen. Aber für mich steht fest, dass Phoenix hier einen höchst interessanten Jesus präsentiert. Er füllt die Rolle mit einer Mischung aus permanenter Wut und Trauer, aber auch mit vielen freundlichen und gutherzigen Momenten. Phoenix‘ Jesus sorgt dafür, dass in seinen Szenen stets die Luft knistert und tatsächlich nimmt man ihm die härtere Gangart auch ab. Etwas kontraproduktiv ist höchstens die deutsche Synchronstimme, sowie manche Dialoge, die ein wenig weichgespült daherkommen. Da hätte man sich auch direkter am Bibeltext bedienen können, um besser auf den Punkt zu kommen.

Durch die starke Präsenz von Jesus verlässt der Fokus Maria, was durch das dezente Spiel von Rooney Mara unterstützt wird. Dass man den Film hier angreift, kann ich verstehen, aber insgesamt ergibt sich für mich doch ein stimmiges Bild. Während die männlichen Jünger im Hinblick auf das Reich Gottes Umbruch und Aufstand, eben den großen Effekt erwarten, hört Maria als Frau in Ruhe zu und begreift, dass sich zunächst Menschen verändern müssen, bevor es Königreiche tun. Womöglich hätte man ihrem Charakter in der Mitte des Films trotzdem noch mehr offensichtlichere Entwicklung zugestehen können. Ein stärkerer Erzählfaden, der die einzelnen Szenen dramaturgisch geschmeidiger in Verbindung bringt, wäre ebenfalls nicht schlecht gewesen. Auf einen interessanten Nebenplot mit Petrus möchte ich dennoch hinweisen. Maria ist zusammen mit ihm auf einer Art Missionsreise. Dabei wird der Unterschied zwischen den beiden immer deutlicher und es wird außerdem klar, dass sich die Macher mit dem apokryphen Evangelium der Maria auseinandergesetzt haben. Darin werden Petrus und die Jüngerin quasi gegeneinander ausgespielt, wenn es um die Gunst Jesu, beziehungsweise das Verständnis seiner Botschaft geht. Ob ein apokryphes Evangelium viele Rückschlüsse auf historische Persönlichkeiten zulässt, ist fraglich. Allerdings wird dadurch deutlich, dass es in den frühen christlichen Gemeinden durchaus eine Diskussion um die Wertung des Petrus, beziehungsweise die der Maria gab.

Der Film führt logischerweise nach Jerusalem und widmet sich dort zunächst der Tempelreinigung und dem Konflikt Jesu mit der religiösen Elite. Diese Szenen sind atmosphärisch sehr dicht, der Tempel wird bedrohlich inszeniert und Phoenix geht in seinen wütenden Momenten richtig auf. Man schafft es sogar zu vermitteln, dass es bei der Tempelreinigung nicht primär um eine Kritik an den Händlern geht. Jesus unterbindet mit seiner Aktion das aus seiner Sicht heuchlerische Sühneritual der Tempelpriester, bei welchem man im Prinzip gegen Geld seine Sünden los wird. Dies wird nicht wirklich in jeder Verfilmung deutlich. Ebenfalls in Jerusalem kommt eine neuartige Motivation des Verräters Judas zum Tragen. Im Film hat der Jünger seine Frau und seine Tochter verloren und verspricht sich vom nahenden Gottesreich ein Wiedersehen mit seiner Familie. Dementsprechend möchte er Jesus zum Handeln zwingen, indem er ihm seinen Feinden ausliefert. Man hat Judas zwar schon öfter mit interessanten, außerbiblischen Beweggründen ausgestattet, doch diese Sichtweise war tatsächlich erfrischend und menschlich gut nachvollziehbar.

Am Ende geht alles recht schnell, fast schon zu schnell. Verhaftung und Hinrichtung geschehen in wenigen Minuten und ich muss gestehen, dass ich Phoenix‘ Jesus gerne als Angeklagten vor den religiösen und politischen Machthabern gesehen hätte. Doch der Film konzentriert sich – was wohl auch richtig ist – wieder verstärkt auf seine Protagonistin und lässt uns die letzten Stunden Jesu aus Marias Perspektive erleben. Seltsam wirkt nur, dass die Verleugnung des Petrus fehlt, wo der Film ansonsten doch sehr darauf bedacht ist, die Mängel der männlichen Jünger herauszuarbeiten. Im Zuge der Auferstehung wird Maria zur ersten Zeugin und Geburtshelferin der Kirche, was eine schöne Brücke zu ihrer Hebammen-Tätigkeit am Anfang des Films schlägt. Erwähnenswert ist auch die stimmige Verknüpfung mit dem Senfkorn-Gleichnis, nach welchem große Dinge einen kleinen, ganz unscheinbaren Anfang haben – eben ganz im Sinne von dem, was Maria vom Reich Gottes verstanden hat.

Fazit: Der Film hat tolle Bilder und starke Darsteller, doch ich bezweifle, dass das einem Zuschauer reicht, der nicht religiös ist oder kein Interesse an Bibelexegese hat. In meinem Fall stehen die Dinge ja anders und ich kann dem Film – trotz einiger Stolpersteine – vieles abgewinnen. Er ist schön, unaufgeregt, ruhig, ein wenig meditativ und trotz der bekannten Geschichte hier und dort überraschend. Ich verteile knappe 8 von 10 Popcornguys!

Personal Shopper

Titel: Personal Shopper
Regisseur: Olivier Assayas
Kamera: Yorick Le Saux
Darsteller: Kristen Stewart, Lars Eidinger, Sigrid Bouaziz



Die Amerikanerin Maureen (Kristen Stewart) arbeitet in Paris für die Prominente Kyra (Nora von Waldstätten) als Personal Shopper – sie reist durch ganz Europa, um Kleidung, Schmuck und Schuhe für ihre Arbeitgeberin einzukaufen. Eigentlich hasst sie diesen Job, doch ist sie auf ihn angewiesen, um weiter in Paris warten zu können. Genau wie ihr Zwillingsbruder Lewis ist sie ein Medium mit besonderer Sensibilität zum Jenseits. Maureen wartet geduldig am Ort seines Todes, um ein letztes Zeichen von Lewis zu erhalten.

Personal Shopper machte auf sich aufmerksam, als Olivier Assyas in Cannes als bester Regisseur dafür geehrt wurde. Das nachdenklich stimmende, ruhige Drama um eine junge Frau, die sich an die Vergangenheit klammert, um den Schmerz um sich herum ertragen zu können, entstand nach der ersten Zusammenarbeit zwischen Assyas und Stewart in „Die Wolken von Sils Maria“. Dem Drehbuchautor und Regisseur ist damit ein Glücksgriff gelungen, denn Kristen Stewart füllt diese Rolle mit einer unauffälligen, und doch starken Präsenz, sodass man kaum die Augen von ihr abwenden möchte.

Ein ganzes Stück dazu leistet vermutlich die Arbeit des Kameramanns, der in ungewöhnlichen, und doch unaufgeregten Blickwinkeln eine bittere wie schöne Atmosphäre schafft.

Eigentlich ist es ein schweres Stück, dass uns Assyas da vorsetzt: Einerseits begleitet der Zuschauer eine junge Frau in einer schwierigen Phase ihres Lebens, mitten im Versuch, den eigenen Weg ausfindig zu machen. Gleichzeitig werden hier Geisterséancen, Übersinnliche Kunst und Philosophie über Seele und Jenseits ins Spiel gebracht. Heraus kommt ein kalt wirkendes Werk, das den Betrachter unschlüssig zurück-, und doch nicht loslässt.

Fazit: Auf leisen Sohlen dringt diese Geschichte in den Kopf derjenigen ein, die sich darauf einlassen. Personal Shopper ist ein ruhiger Film, der einem beizeiten aber auch auf die Stuhlkante rutschen lässt. Ein Tipp für Kristen Stewart-Fans und alle, die sich auf eine ungewöhnliche Reise einlassen wollen. 8 v0n 10 Popcornguys! 

Silence

Titel: Silence
Originaltitel: Silence
Regie: Martin Scorsese
Musik: Kim Allen Kluge, Katherine Kluge
Darsteller: Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson

Japan, frühes 17. Jahrhundert: Die Christen des Landes leiden unter einer harten und systematischen Verfolgung durch die Regierung. Einer der Missionare, Cristóvão Ferreira (Liam Neeson), soll angeblich dem Christentum abgeschworen haben. Zwei seiner früheren Schüler, Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garpe (Adam Driver), können dies nicht glauben. Sie reisen selbst nach Japan, um sowohl ihren Mentor zu finden, als auch die japanischen Mitchristen zu unterstützen. Schon bald werden die beiden jungen Priester nicht nur Zeugen von Folter und Verfolgung, was sie an ihrer Mission und ihrem Glauben zweifeln lässt.

Die Verfilmung des 1966 erschienen Romans „Schweigen“ von Shūsaku Endō ist seit Jahrzehnten das Herzensprojekt von Meisterregisseur Martin Scorsese. Nun läuft der Streifen endlich in unseren Kinos – und zwar mit Staraufgebot und einem verhältnismäßig hohen Budget von 40 Millionen Dollar. Dass „Silence“ dennoch an den Kassen floppt, ist meiner Meinung nach keine Überraschung. Trotz bekanntem Regisseur und populären Darstellern ist das Thema einfach zu speziell. Für die meisten dürfte es nachvollziehbare Gründe geben, dem Kinosaal fernzubleiben – doch mich persönlich hat „Silence“ im positivsten Sinne umgeworfen, um mein Fazit vorwegzunehmen.

Für wen ist der Film aber nun gemacht? Ich denke, dass unter bestimmten Umständen auch ein Atheist „Silence“ etwas abgewinnen kann, wenn er die religiösen Glaubensfragen auf etwas Vergleichbares ummünzt. Ohne Frage dürften einem Cineasten auch die tollen Bilder und herausragenden Schauspielleistungen auffallen. Aber dem gegenüber steht die erschlagende Lauflänge von 160 Minuten. Da stelle ich die Behautpung auf, dass „Silence“ für religiöse und gläubige Zuschauer am meisten zu bieten hat.

„Silence“ ist aber keineswegs christliche Propaganda, wodurch das Zielpublikum weiter schrumpft. Natürlich befindet sich das Christentum aufgrund der Verfolgung durch die japanische Regierung – die übrigens sehr detailliert und hart dargestellt wird – in der eher sympathischen Opferrolle. Und natürlich zeigt der Film auch auf, dass es die christliche Religion vermag, einfachen und unterdrückten Bevölkerungsschichten ihren inneren Wert aufzuzeigen, was den damaligen Machthabern Japans ein Dorn im Auge war. Aber trotzdem hat „Silence“ auch auf das Christentum einen differenzierten Blick, der anhand der aufgeworfenen Fragen deutlich wird: Hat nicht die christliche Mission selbst das Leid über die Bürger Japans gebracht? Kann es sein, dass bestimmte Glaubensrichtungen und Ideen in bestimmten Ländern einfach keine Wurzeln schlagen? Und wie christlich ist es eigentlich, Menschen für Jesus Christus in den Tod zu schicken, wenn man ihnen stattdessen das Leben retten könnte?

All diese schweren Fragen – und noch einige mehr – muss sich Hauptfigur Rodrigues stellen. Adam Driver und Liam Neeson mögen in ihren Nebenrollen überzeugen, doch sie haben verhältnismäßig wenig Szenen. Es ist nahezu ausschließlich Andrew Garfields Aufgabe, als Schauspieler den Zuschauer emotional an die Handlung zu binden und ihn auf diese spirituelle Reise mitzunehmen. Garfield mag für „Hacksaw Ridge“ eine Oscar-Nominierung bekommen haben, doch seine Leistung in „Silence“ empfinde ich als immens höher. Er spielt den Priester mit all seinem anfänglichen Enthusiasmus und all seinen späteren Zweifeln absolut glaubwürdig und authentisch. Hierzu möchte ich erwähnen, dass sich Garfield sehr intensiv auf die Rolle vorbereitet und auch viel Zeit bei den Jesuiten verbracht hat.

Ich für meinen Teil konnte „Silence“ von der ersten bis zur letzten Minute aufmerksam verfolgen und fühlte mich sofort in diese Welt mit all ihren Konflikten hineingezogen. Dem Film wird oft vorgeworfen, dass er mehr Fragen stellt, als Antworten liefert. Ich persönlich finde das in diesem Fall nicht unbedingt schlecht. Zum einen thematisiert „Silence“ viele Fragen, auf die es einfach keine verbindliche Antwort gibt. Zum anderen sind die gestellten Fragen wichtig und zeitlos. Mehrmals musste ich zwischen dem Film und heutigen politischen Gegebenheiten Parallelen ziehen. So erinnerten mich die Bemühungen der japanischen Regierung im 17. Jahrhundert, sämtliche westliche Einflüsse aus dem Land zu verbannen, vage an aktuelle rechtsorientierte Gruppen in Europa oder Amerika, die sich allzu sehr vor einer Islamisierung des Westens fürchten. Geschichte wiederholt sich bestimmt nicht eins zu eins – aber der Blick in die Vergangenheit ist sicher nicht verkehrt, wenn man an einer besseren Zukunft interessiert ist.

Fazit: „Silence“ ist ein Film mit einem sehr speziellen und unbequemen Thema. Wenn man sich – wie auch immer – darauf einlassen kann, wird er den Zuschauer aufgewühlt und nachdenklich zurück lassen. Über das Ende möchte ich natürlich keine Details verraten, aber ich fand für mich – trotz aller vordergründigen Grausamkeit und Finsternis – eine tiefe, innere Sicherheit, die „Silence“ neben „Life Of Pi“ zum wohl wichtigsten spirituellen Film der letzten Jahre macht. Es gibt 9 von 10 Popcornguys!

Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger

Titel: Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger (Original: Life of Pi)
Regisseur: Ang Lee
Musik: Mychael Danna
Darsteller: Suraj Sharma, Irrfan Khan, Gerard Depardieu

Pi Patel ist der Sohn eines Zoodirektors und wächst in Indien auf. Seine religiösen Wurzeln liegen im Hinduismus, doch als Kind lernt er außerdem das Christentum und den Islam kennen und identifiziert sich bald mit allen drei Weltanschauungen. Gerade als der Jugendliche Pi die Liebe kennen lernt, beschließt sein Vater nach Kanada auszuwandern und sämtliche Tiere zu verkaufen. Die Familie begibt sich zusammen mit dem halben Zoo auf einen japanischen Frachter, der jedoch während eines heftigen Sturms sinkt. Pi kann sich als einziger auf ein Beiboot retten, doch dort ist er nicht allein: Ein verletztes Zebra, ein weiblicher Orang Utan und eine angriffslustige Hyäne leisten ihm Gesellschaft. Schon bald kommt es innerhalb der Gruppe zu Auseinandersetzungen. Die Hyäne tötet zunächst das Zebra, anschließend den Affen, woraufhin sie jedoch selbst Opfer eines weiteren, bisher unentdeckt gebliebenen Passagiers wird: Richard Parker, ein gewaltiger bengalischer Tiger, ist nun das einzige lebende Tier auf dem Rettungsboot. Pi muss sich notgedrungen ein kleines Floß bauen und dem Raubtier ausweichen. Doch im Verlauf das gemeinsamen Überlebenskampfes rücken Mensch und Tiger näher zusammen. Pi gelingt es, Richard Parker zu bändigen und eine Art Partnerschaft zu entwickeln. In gegenseitiger Abhängigkeit gelingt es dem Duo, monatelang auf offener See durchzustehen und auf Rettung zu hoffen.

„Life of Pi“ ist die mit Abstand beste Möglichkeit, das Kinojahr 2012 ausklingen zu lassen. Dieser Film lässt seinen Zuschauer überwältigt im Sessel zurück und fordert ihn dazu auf, die vielen großartigen Eindrücke zu ordnen – etwas, was ich hiermit versuchen möchte.

Beginnen möchte ich mit dem Offensichtlichstem, und zwar dem Look des Films. „Life of Pi“ wurde im Vorfeld als visuelle Konkurrenz zu „Avatar“ gepriesen – und dieser Vergleich ist absolut legitim. Bereits in der Eröffnungsequenz, die an und für sich nur verschiedene Zootiere zeigt, wird der Zuschauer mit feinsten 3D-Effekten verwöhnt. Die Technik wird von Anfang dazu verwendet, um räumliche Tiefe zu erzeugen und auch stellenweise den Betrachter gekonnt an der Nase herum zu führen. Man merkt dem Regisseur förmlich den Spaß an 3D an, doch Ang Lee verliert dabei zu keinem Zeitpunkt Handlung und Charaktere aus den Augen. Der visuelle Augenschmaus entfaltet sich im weiteren Verlauf des Films, wenn farbenfrohe und überwältigende Visionen, Traumsequenzen, nächtliche Himmel, Stürme oder auch Unterwasseraufnahmen die Leinwand veredeln. Doch der eigentliche Höhepunkt in Sachen Effekte stellt der bengalische Tiger Richard Parker dar. Ein solches Tier ist mit all seinen Details sicher unheimlich schwer zu animieren – aber der heimliche Star aus „Life of Pi“ ist in jeder Einstellung ein ohne Abstriche überzeugender Genuss.

Doch eine schöne Optik allein ist nicht alles. Hinter der überragenden Fassade des Films schlummern aber glücklicherweise auch genau die Stärken, die einen Film zu einem Meisterwerk machen können. Suraj Sharma, der die meiste Zeit Pi spielt, ist ein grandioser Darsteller, dem es möglich ist, in einem einzigen Monolog den Zuschauer zu fesseln und unglaublich viele Emotionen zu transportieren. Zudem schafft er es problemlos, während der Rettungsboot-Szenen das Werk alleine zu tragen – mal abgesehen von seinem komplett animierten Schauspielkollegen. Andere Darsteller kommen da konseqenterweise etwas kürzer, doch man kann sich trotzdem über markante Auftritte von Irrfhan Khan und Gerard Depardieu freuen. Der Soundtrack hätte stellenweise weniger dezent sein können, doch er passt sehr gut zu den malerischen Bildern.

„Life of Pi“ ist für mich einer der besten Filme des Jahres, weil er auf so vielen Ebenen perfekt funktioniert. Es ist einerseits ein Abenteuerfilm, in welchem Mensch und Tier gemeinsam ums Überleben kämpfen. Auf der anderen Seite ist es das Drama eines jungen Mannes, der seine gesamte Familie verliert und gezwungen ist, ein neues Leben zu beginnen. Und schließlich ist „Life of Pi“ eine Fabel auf das Leben mit zahlreichen religiös-philosophischen Denkanstößen. Im ersten Drittel des Films nimmt Pis Auseinandersetzung mit Hinduismus, Christentum, Islam und der Rationalität seines Vaters einen relativ großen Raum ein. Möglicherweise wirken diese Szenen auf weniger interessierte Zuschauer langweilig, doch als am Ende des Films die Parabel ihre volle Wirkung entfaltet und ganz offen die Frage nach Gott gestellt wurde, kam wirklich jede im Kinosaal anwesende Person ins Grübeln. Bravo, Ang Lee, besser kann man es nicht machen!

Zum Schluss fasse ich mich kurz: Schaut euch „Life of Pi“ an, es ist ein Meisterwerk und der eventuell beste Film des Jahres!

10 von 10 Popcornguys

The Dangerous Lives of Altar Boys

Titel: Lost Heaven (Originaltitel: The Dangerous Lives of Altar Boys)
Regisseur: Peter Care
Musik: Marco Beltrami, Josh Homme
Darsteller: Jodie Foster, Kieran Culkin, Emile Hirsch, Jena Malone

Georgia der 70er Jahre. Die 13-jährigen Tim (Kieran Culkin) und Francis (Emile Hirsch), Schüler der achten Klasse einer Klosterschule, leiden unter dem eisernen Regiment der strengen Schwester Assumpta (Jodie Foster) und Pater Casey (Vincent D’Onfrio). Wenig beeindruckt von der Autorität der Erwachsenen, vertreiben sie sich ihre Freizeit mit Alkohol, Mutproben und der Arbeit an ihrem gotteslästerlichen Comic „Atomic Trinity“. Im Zusammenhalt untereinander finden sie die Unterstützung und Anerkennung, die sie bsiher in ihrem Leben vermissten. Schließlich tritt Margie Flynn in Francis‘ Leben, und so muss er sich nicht nur gegen Schwester Assumpta wehren, welche ihren Comic entdeckt hat, sondern sich auch mit den Problemen einer Beziehung auseinandersetzen.

Gleich vorweg möchte ich sagen: Der offizielle deutsche Titel für diesen Film ist „Lost Heaven“. Auf der von mir gekauften Special Edition ist allerdings der viel besser klingende Originaltitel enthalten. Der 2001 erschienene Film erhielt nicht viel Aufmerksamkeit. Im gewöhnlichen Sortiment der Läden habe ich ihn auch noch nicht gesehen – ergattert habe ich diese DVD in einem Ramschladen für nen schlappen Euro. Man kann also nicht viel davon erwarten – oder? Ich  habe meine Erwartungen dementsprechend nicht zu hoch angesetzt, und war überrascht! Der Film überzeugt mit einer interessanten Kombination aus Comic, Jugendfilm, Tragikomödie und Liebesgeschichte, sowie solider Schauspielarbeit. Vier Jungs, welche sich selbst eigens zugeschnitte Superhelden kreieren, verwandeln ihre Umwelt in den Schauplatz einer actiongeladenen Comicwelt. Immer wieder wechselt sich der Realfilm mit den Comicszenen ab, und so wird aus der Schwester Assumpta, welche mit dem Mofa durch die KIeinstadt düst, schnell eine überaus fiese Anführerin einer Nonnen-Motorradgang. Dass diese Comicszenen im Zusammenhang mit dem echten Leben der Jungs stehen, liegt auf der Hand, und so wirken die von Todd McFarlane gezeichneten Szenen (welche mich optisch stark an  Heavy Metal F.A.K.K.²  erinnerten, ebenso im Grad der Brutalität) bei weitem nicht so fiktiv, wie man sie in einer reinen Comicverfilmung betrachten würde. Ernstere Töne spricht der Film sowieso an, wenn von Margies unangenehmer Vergangenheit die Rede ist, oder Tim und Francis im ernsthaften Streit um ihre Freundschaft liegen, oder der Film in einen sehr dramatischen Höhepunkt gipfelt.

Daraus lässt sich also schließen: Der Film vereint vieles, und schafft diese Kombination auch gut. Zwar hätte ich mir bei Charaktern wie Schwester Assumpta mehr Tiefe, oder gewisse Handlungsstränge besser ausgebaut gewünscht, doch zufriedenstellend ist das Ergebnis allemal. Exzellent besetzt, spannend erzählt und mit toller Kamera- und Schnittarbeit versehen ist der Film durchgweg angenehm zu betrachten. Die Filmmusik von Marco Beltrami und Josh Homme (Queens of the Stone Age!!!!) tut ihr übriges, dem Streifen einen Hauch der 70er zu verpassen, und so eine tolle Atmosphäre zu erzeugen.
Kein Meisterwerk also, aber gute Unterhaltung mit Tiefgang, welche mir 7 von 10 Popcornguys wert ist.

Alles koscher!

Titel: Alles koscher! (Originaltitel: The Infidel)
Regisseur: Josh Appignanesi
Musik: Erran Baron Cohen
Darsteller: Omid Djalili, Amit Shah, Archie Panjabi, Richard Schiff, Matt Lucas.

Hier der Trailer

Der etwas weniger gläubige Muslim Mahmud Nasir lebt mit seiner Familie in Großbritannien, wo er ein gemütliches Leben zwischen Familienstress und einem gelegentlichen Schluck Bier führt. Als sein Sohn Rashid ihm allerdings eröffnet, dass der neue Stiefvater seiner zukünftigen Braut der fundamentalistische Prediger Arshad Al-Masri ist, ändert sich für ihn einiges. Er legt sich mächtig ins Zeug, um für die neuen Familienmitglieder wie ein gläubiger Muslim zu wirken. Dann jedoch entdeckt er im Nachlass seiner Mutter eine Adoptionsurkunde: Sein Geburtsname lautet Solly Shimshillewitz – seine biologischen Eltern waren Juden! Er erfährt, dass sein Vater noch lebt, doch gewährt ihm dessen Rabbi keinen Zutritt zu ihm, da er todkrank ist und keinen solchen Schock verträgt. Mahmud/Solly steht also zwischen den Ansprüchen, wie ein astreiner Muslim für seine Familie zu wirken, und sich gleichzeitig vom exzentrischen Taxifahrer Lenny in Sachen Judentum unterrichten lassen, um seinen Vater kennen zu lernen.

Die britische Komödie, welche in Deutschland über ein Jahr später erschien als in Großbritannien, schafft den Spagat zwischen Komödie und Gesellschaftskritik. Der Israel-Palästina-Konflikt ist mehr als einmal Thema, und zwischen allen Vorurteilen seitens Judentum und Islam, die übrigens herrlich schamlos ausgekostet werden, schwingen auch immer wieder ernste Problematiken des interreligiösen und -kulturellen Zusammenlebens mit. Omid Djalili als in die enge getriebener Familienvater überzeugt, wie auch alle anderen Schauspieler. Besonders der kleine Auftritt von Matt Lucas (bekannt aus Little Britain) als strenger Rabbi hat mich besonders gefreut.
Auch wenn der Film dem Publikum keinen Brüller nach dem anderen entgegenschleudert, ist er doch witzig und solide. Die kleinen Kommentare und Sticheleien zwischen Mahmud und dem jüdischen Taxifahrer Lenny versetzen der Verwandlung von Mahmud zu Solly besondere Würze. Zwar hätte ich mir etwas mehr Tiefe – auf die doch ernsten religiösen Konflikte bezogen – gewünscht, aber insgesamt ist der Streifen stimmig.
Fazit: Alles koscher! ist keine Witzkanone, jedoch auch nicht zu ernst. Wer eine nette Komödie sucht, und sich – wie ich – für interreligiöse Konflikte interessiert, ist mit diesem Film echt gut beraten.
Von mir erhält Alles koscher! 6 von 10 Popcornguys